Neun am Neunten meldet sich mit einer Spezialausgabe zurück – heute mit einem kritischen Blick auf die WM in Katar.
Bewerber und Vergabe
Am 2. Dezember 2010 vergab das FIFA-Exekutivkomitee in Zürich in einer Doppelvergabe die WM 2018 nach Russland und die WM 2022 nach Katar. Mit 14:8 Stimmen setzte sich der Golfstaat im 4. Wahlgang damals überraschend gegen die Bewerbung der USA durch. Laut FIFA-eigenen Prüfberichten von allen Bewerbungen galt die Bewerbung Katars als am wenigsten für eine WM-Ausrichtung geeignet. Neben Katar und der USA hatten sich auch Südkorea, Japan (beide hatten 2002 noch gemeinsam die WM ausgerichtet) und Australien beworben. Insgesamt stimmten 22 Männer über den Austragungsort der WM ab. Für den Zuschlag war eine absolute Mehrheit von 12 Stimmen nötig. Solange diese in einem Wahlgang nicht erreicht wurde, schied der Bewerber mit der geringsten Stimmenanzahl aus.
Laut Recherchen der Sunday Times soll Katar vor der Vergabe gezielt falsche Informationen über die anderen Bewerber verbreitet haben. In den USA und in Australien sollte demnach Stimmung gegen die Ausrichtung des teuren Großereignisses gemacht werden, um die Bewerbungen von innen heraus zu sabotieren. Teil des Komplotts sollen abgeworbene CIA-Agenten, gekaufte Journalisten und manipulierte Regierungsmitglieder gewesen sein. Welche Mittel Katar darüber hinaus noch einsetzte, um den Zuschlag für die Ausrichtung zu bekommen, schildern wir euch im zweiten Beitrag der Reihe.
Die Wahlmänner der WM-Vergabe
In den Händen von 22 Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees lag das Schicksal der WM-Doppelvergabe 2018 und 2022. Zwölf Jahre nach der Vergabe sind nur die wenigstens Wahlmänner ohne Verfahren oder Betrugsvorwürfe belastet. Laut US-Staatsanwaltschaft sind mindestens vier Delegierte mit direkten Zahlungen bestochen worden. Einige Persönlichkeiten sollten näher vorgestellt werden:
Sepp Blatter und Michel Platini
Da wären der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter und der damalige UEFA-Präsident Michel Platini. Im Zentrum der Vorwürfe gegen beide stehen eine dubiose Zahlung von 1,8 Millionen Euro von Blatter an Platini und ein Treffen zwischen Platini, dem französischen Präsidenten Nicola Sarkozy, des Emirs sowie des Premierministers von Katar. Blatter und Platini wurden beide von der FIFA-Ethikkommission gesperrt. Ein Schweizer Gericht sprach beide 2022 vom Vorwurf der unrechtmäßigen Zahlung frei.
Mohammed bin Hammam
Als Strippenzieher der verkauften Stimmen gilt der katarische Funktionär Mohammed bin Hammam. Er soll bis zu 5 Millionen Euro unter die ExKo-Mitglieder gebracht haben. Er wurde lebenslang von allen Funktionärstätigkeiten gesperrt. Jack Warner, einstiger Fifa-Vize und Delegierter aus Trinidad und Tobago, spielt eine schillernde Rolle. Er soll sich seine Stimme für Katar mit 1,5 Millionen Euro bezahlt haben lassen. Warner wurde mittlerweile für Korruption in acht Fällen verurteilt.
Chuck Blazer
Der US-Amerikaner Chuck Blazer trug als Kronzeuge der US-Behörden zu etlichen Aufklärungen bei. Doch auch selbst ist er nicht unbescholten. Er räumte die Annahme von Schmiergeldern ein. Besonders im Fokus der Stimmenverkäufe stehen die südamerikanischen ExKo-Mitglieder. Alle drei südamerikanischen Vertreter sollen 1 Million Dollar für ihre Stimme für Katar erhalten haben. Auch Amos Adamu und Reynald Temarii sollten Erwähnung finden. Beide waren eigentlich Mitglieder des Exekutivkomitees, wurden jedoch bereits vor der Abstimmung gesperrt, weil sie ihre Stimme gegenüber verdeckten Journalisten zum Verkauf anboten.
Grundsätzlich findet die Vergabe als geheime Wahl statt. Durch Recherchen von Journalisten und Ermittlungen von Schweizer und US-Amerikanischen Behörden sind einige hier genannte Details heute öffentlich bekannt. Fest steht: Die WM in Katar war gekauft.
Sportwashing
Immer mehr Sportgroßereignisse finden in der Golfregion, und speziell in Katar, statt. Dahinter steckt laut Experten in erster Linie die Absicht, das Ansehen des eigenen Landes durch die Veranstaltung von Sport-Events und deren positiver Reputation in den Medien zu verbessern. Mehr als 500 internationale Sportveranstaltungen wurden binnen 15 Jahren im Emirat ausgetragen. Unsere Grafik zeigt eine Auswahl davon.
Korruption, überteuerte Angebote und falsche Versprechen – damit hat sich Katar in den letzten Jahren viele Großereignisse gesichert. Dank großem Vorrat an Bodenschätzen wie Erdöl und Erdgas spielt Geld für Katar kaum eine Rolle. Nicht selten werden pompöse Veranstaltungen auf die Beine gestellt: schillernde Spiele für positive Reputation. 1993 schlugen erstmals internationale Topstars aus der Tennis-Szene in Doha auf. Mit dabei unter anderem Boris Becker. Die Tennis-Szene trifft sich seitdem jährlich im Emirat. Kaum eine große Sportart konnte dem Geld der Katarer seitdem widerstehen.
Gastarbeiter und Sportler sind die Leidtragenden
Wer darunter leidet? Neben den Gastarbeitern, die für Dumpinglöhne und unter miserablen Wohn- und Arbeitsbedingungen die Wettkampfstätten errichten, sind dies auch die Sportlerinnen und Sportler. Die Fußball-WM wurde aufgrund der klimatischen Bedingungen vom Sommer in den Winter verlegt. Bei der Leichtathletik-WM 2019 kollabierten mehrere Marathon-Läufer unter der Hitze von Doha. Allein der Schutz der Sportlerinnen und Sportler sollte den Verbänden hier zu denken geben.
Bei aller Kritik sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass nicht nur Katar oder Länder aus der Golfregion Sport-Großveranstaltungen für Sportswashing-Zwecke missbrauchen. Ob es das besser macht, muss jeder für sich selbst beantworten…
Stadien
In acht verschiedenen Stadien wird demnächst der Ball bei der WM rollen. Sechs der acht Stadien wurden komplett neu gebaut. Allein die Kosten für den Bau der Stadien belaufen sich auf ca. 3 Milliarden Dollar. Laut Bewerbungsunterlagen der FIFA waren für die WM 2022 mindestens zwölf Stadien als Austragungsorte vorgesehen. Nachdem Katar zunächst Pläne für zwölf Stadien vorlegte, verständigte man sich mit der FIFA darauf, dass acht Stadien für die Größe des Landes ausreichend seien. Alle WM-Arenen befinden sich in Doha oder liegen im näheren Umfeld der Stadt, maximal bis zu 60 Kilometern von der Hauptstadt Katars entfernt.
Kühlungstechnologie in fast allen Stadien
Aufgrund der klimatischen Bedingungen in Katar – trotz Verlegung in den Winter – sind in sieben der acht Stadien Kaltluftgebläse zur Klimatisierung verbaut. Dadurch sollen das Spielfeld und die Zuschauerränge von ca. 40 Grad Außentemperatur auf einen Bereich zwischen 19 und 23 Grad heruntergekühlt werden. Für die Kühlungstechnologie wird laut katarischen Angaben ausschließlich Solarenergie verwendet.
Die Stadien werden zum Teil nach der WM verkleinert und zum Beispiel von katarischen Vereinen oder für den Hochschulsport verwendet. Eine Besonderheit bietet das Stadium 974. In diesem Stadion wurden 974 Schiffscontainer verbaut. Nach dem Turnier wird das Stadion abgebaut und Komponenten für Stadionbauten außerhalb Katars eingesetzt. Auf dem Gelände sollen danach Freizeit- und Grünanlagen entstehen.
Während dem Bau der Stadien kam es zu Menschenrechtsverletzungen und Toten. Darüber berichten wir später in einem gesonderten Beitrag.
Info: Zur Höhe des Investitionsvolumens des Stadionbaus finden sich unterschiedliche Angaben zwischen 2,87 und 4 Milliarden Dollar. Unsere Angaben basieren auf einer Quelle und reihen sich im unteren Bereich des Spektrums ein. Die Kosten sind eher als eine grobe Schätzung anzusehen.
Die Regeln für die Fans
Rund 35.000 deutsche Fans werden bei der WM in Katar erwartet. Freies Bewegen, wie wir es von Stadionbesuchen in Deutschland kennen, wird voraussichtlich nicht möglich sein. Wir haben einige Regeln für WM-Besucher zusammengefasst.
So müssen Fans verpflichtend zwei Apps auf installieren. Statt eines Visums wird für die Einreise ins Emirat die so genannte Hayya-Card nötig. Neben der Einreise sorgt diese App auch für den Zugang zum Stadion und den öffentlichen Nahverkehr. Die Ehteraz-App ist das katarische Pendant zur deutschen Corona Warn App. Sie ist für den Besuch von Gesundheitseinrichtungen notwendig. Beide Apps stehen aufgrund der Datenschutzbestimmungen in der Kritik. Unter anderem kann auf den genauen Standort zugegriffen werden.
Reisewarnung für homosexuelle Fans
Wer ohne Partner anreist sollte auf sexuelle Aktivitäten verzichten. Außerehelicher Geschlechtsverkehr wie bei One-Night-Stands ist in Katar verboten und wird auch während der WM nicht gern gesehen. Noch drastischer verhält es sich mit Homosexualität. Spätestens nach den jüngsten Aussagen eines katarischen WM-Botschafters („Homosexualität ist ein geistiger Schaden“) warnen Menschenrechtsorganisationen homosexuelle Fans vor einer Reise zur WM.
Bier gehört in Deutschland für viele Fans zum Fußball dazu. Bei den WM-Spielen wird es keinen Alkoholausschank im Stadion geben. Stattdessen wird es bestimmte Bereiche und Zeitfenster geben, in denen der öffentliche Verzehr von Alkohol gestattet ist. An dieser Stelle für einige sicherlich eine Umstellung, vom verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol kann der ein oder andere aber sicherlich noch etwas von den Katarern lernen.
Auch die Pressefreiheit könnte in Katar zum Streitpunkt werden. Medien dürfen sich nur in vorgeschriebenen Bereichen aufhalten, Filmen verboten in Regierungsgebäuden, Universitäten, Kirchen und Krankenhäusern sowie in Wohnungen. Dies dürfte z.B. die Suche nach einheimischen Interviewpartnern erschweren. Wie hart die katarischen Behörden im Umgang mit der Presse sein werden, gilt es abzuwarten.
Kosten
Rekord – noch nie hat ein Gastgeberland einer Fußball-Weltmeisterschaft so viel Geld für die Austragung des Turniers investiert! Bis zu 220 Milliarden Dollar soll Katar für die Austragung der WM ausgegeben haben. Um die Zahl einordnen zu können, haben wir euch einen Vergleich der vergangenen acht Weltmeisterschaften grafisch aufbereitet.
Die bis dato teuerste WM der vergangenen Jahre fand 2014 in Brasilien statt. Mit ca. 15 Milliarden Dollar gaben die Südamerikaner allerdings nur einen Bruchteil der Summe Katars aus. Deutschland kostete die Heim-WM 2006 rund 4,3 Milliarden Dollar.
Entscheidender Unterschied zwischen Katar und den anderen Austrägern ist die fehlende Infrastruktur zum Zeitpunkt der Vergabe. In den 220 Milliarden Dollar stecken auch viele Projekte, die das Land generell voranbringen werden und in Zukunft weiter genutzt werden können. dazu zählen zum Beispiel ein unterirdisches Transportsystem, die Renovierung des internationalen Flughafens oder des neuen Stadtbahnnetzes.
Auch wenn man diese Investitionen nicht zwingend und ausschließlich der WM zuordnen kann, muss auf der anderen Seite resümiert werden, dass die Austragung ohne diese Investitionen nicht möglich gewesen wäre. Auch an dieser Stelle sei noch einmal erwähnt, dass diese Investitionen auf dem Rücken der Gastarbeiter auf den Baustellen – egal ob auf einer WM-Baustelle oder einer anderweitigen Baustelle – getätigt wurden. Es bleibt zu wünschen, dass Katar den Rekord für die teuerste WM der Geschichte noch lange behalten darf.
Verkehr
Die ganze Welt zu Gast in Katar? Nun ja, ganz so ist es in der Tat nicht. Viele der WM-Gäste finden aus Platzgründen nur in umliegenden Ländern eine Unterkunft und werden mit Pendelflügen nach Katar gebracht. Die nächste Episode Irrsinn made by FIFA und Katar.
Da in Katar wohl nicht genügend Hotelzimmer zur Verfügung stehen werden, mussten sich die Organisatoren der WM etwas Neues einfallen lassen. Neben provisorischen Camps aus Zelten oder ankernden Kreuzfahrtschiffen als schwimmende Hotels werden einige Fans aus den umliegenden Nachbarländern per „Luftbrücke“ nach Katar geflogen. Bis zu 160 Pendelflüge am Tag sollen eingerichtet werden. Über die gesamte WM-Zeit wären das bis zu 3.520 Flüge.
Wie passt das mit dem ambitionierten Ziel einer „klimaneutralen WM“ zusammen? Experten zufolge gar nicht, sie sprechen von Greenwashing. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist dies eine durchaus befremdliche Lösung. Zumal man meinen möchte, dass zwölf Jahre Vorbereitung seit der Vergabe zur Lösung dieses Problems hätten reichen sollen. Die Pendelrouten führen aus den Nachbarländern Kuwait, Saudi-Arabien, dem Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Katar. Aus Kostengründen soll sich eine Übernachtung in den Nachbarländern sogar lohnen. Buchungen in Abu Dhabi und Dubai seien in letzter Zeit zehnmal so hoch, wie vor der Pandemie. Größter Profiteur der WM ist Dubai, wo etwa zwei Drittel der WM-Besucher untergebracht sind. Abu Dhabi folgt mit einem Anteil von 14 Prozent dahinter. Dschidda mit acht, Muscat mit sechs und Medina mit drei Prozent komplettieren die Top 5.
DFB-Fan-Camp in Dubai
Auch das offizielle DFB-Fan-Camp in Dubai ist in Dubai stationiert. 300 DFB-Fans sind in einem 4-Sterne-Hotel untergebracht. Auch hier werden die Fans mit den Pendelflügen zu den Spielen geflogen. In Katar war ein Camp, laut DFB, aus „organisatorischen Gründen nicht möglich“.
Tote
15.000 Tote für ein Fußballfest! Laut Statistiken von katarischen Behörden sind in Katar zwischen 2011 und 2019 mehr als 15.000 Tote Personen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit gestorben. Weil über 70% der Todesfälle von Arbeitsmigranten in Katar nicht untersucht werden, lässt sich aus den Daten nicht sicher schließen, wie viele dieser 15.000 Toten Arbeitsmigranten waren, die aufgrund miserabler Arbeitsbedingungen gestorben sind.
Berichte über die katastrophalen Bedingungen für Gastarbeiter auf den Baustellen rund um die WM gibt es seit vielen Jahren. Katar hat viel versprochen – unter anderem die Abschaffung des Kafala-Systems, bei dem Missbrauch und Menschenrechtsverstöße belegt sind. Im Kafala-System werden Arbeiter systematisch unterdrückt und dürfen beispielsweise ohne Erlaubnis ihres Arbeitgebers den Job nicht wechseln oder das Land verlassen. Gesetzlich ist die Kafala-Regelung in Katar inzwischen abgeschafft.
Die meisten Arbeitsmigranten in Katar kommen aus Bangladesch, Indien, Nepal und Pakistan sowie aus Ostafrika. Sie werden mit großen Versprechungen ins Land gelockt und werden dort zu Opfern des Systems. Laut Berichten soll Nordkorea 3000 Arbeitssklaven nach Katar geschickt haben. 90 Prozent ihres Gehalts soll von Vermittlungsagenturen einbehalten worden sein. Mit unserer Grafik gedenken wir den Menschen, die ihr Leben auf den Baustellen rund um die WM gelassen haben. Ihr werdet nicht vergessen.
Statement
Zum Abschluss noch ein Statement von uns:
Autoren: Christian, Moritz
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